Die Critical Race Theory Debatte

Die Critical Race Theory Debatte

Die Debatte über Critical Race Theory ist nur ein Symptom eines systematischen Problems in den USA. Aber was ist das überhaupt und warum ist es gerade ein Thema?

Was ist Critical Race Theory?

Kurz gesagt ist Critical Race Theory, auch CRT abgekürzt, eine rechtswisschenschaftliche Lehre. Sie entstand in den 70ern. Damals hatte die Bürgerrechtsbewegung schnell große Erfolge erzielt, kam aber danach immer weiter zum Erliegen. Das haben einige Anwälte und Rechtswissenschaftler eingehend untersucht. Sie kamen zum Entschluss, dass Rassismus nicht nur von jedem Einzelnen ausgeht. Sondern dass er systematisch in Recht und Gesellschaft verankert ist.

Verschwiegener Rassismus im Alltag

Wenn man darüber nachdenkt, erscheint einem das auch ganz klar. Das können oberflächliche Dinge sein wie: Wer bekommt den Kredit bei der Bank? Wer erhält den Zuschlag zur Wohnungsmiete? Klar klingt das nach Einzelfällen. Aber wenn viele tausend Einzelfälle entscheiden, der Minderheit keinen Vertrag anzubieten, dann wird daraus ein grundsätzliches Problem.

Beispiel Gerrymandering

Tiefer reicht es, sobald ganz bewusste, böswillige Entscheidungen die Situation verschlechtern. Wenn Politiker aktiv daran arbeiten, um Minderheiten zu benachteiligen. Ein klassisches Beispiel ist das sog. Gerrymandering. In den USA gilt bei vielen Wahlen das „Winner takes it all“ Prinzip. Gewinnt die Partei in einem Wahlkreis, erhält sie alle Sitze des Distrikts. Die Stimmen für die unterlegenen Parteien verfallen. Auch für unsere Wahlen mit Erststimme gilt dieses Prinzip.

Beim Gerrymanders werden Wahlkreise teils so dreist zugeschnitten, dass eigentlich in der Mehrheit lebende Minderheiten plötzlich zu Wahlminderheiten werden und im Wahlkreis keinen Einfluss mehr auf die Politik ausüben kann. Beispiel (aus Wikipedia): „Bei der Wahl 2002 hatten die Republikaner 59 % und die Demokraten 40 % der Stimmen für das Repräsentantenhaus erzielt, die Demokraten jedoch 17 (53 %) und die Republikaner 15 (47 %) Repräsentanten gestellt. Nach der Neueinteilung erhielten die Republikaner bei der Wahl 2004 mit 58 % der Stimmen 21 Repräsentanten (66 %) und die Demokraten mit 41 % der Stimmen 11 (34 %).“ Der Unterschied von 17:15 zu 21:11 bei fast gleicher Stimmzahl ist enorm.

Beispiel War on Drugs

Der Kampf gegen Drogenkonsum in den USA führte zu extremen Benachteiligungen von Afro-Amerikanern. Ursprünglich proklamiert wurde das Ziel, die US Staatsbürger vor den Gefahren von Drogenkonsum zu schützen. Wie John Ehrlichman, Nixons Chef-Berater für Innenpolitik, aber offen sagte, ging es keineswegs primär um Drogenkonsum per se. Man wollte damit Kriegsgegner und Schwarze angreifen. Und auch heute noch wird dieses Mittel aktiv zur Unterdrückung von Minderheiten eingesetzt. Der Besitz von Marihuana führt bei erster Verurteilung schon zu einer Geldstrafe von 1.000 Dollar oder bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe. Und wen kontrollieren Streifen vornehmlich? Und wer stellt schon Vorbestrafte mit Drogendelikten in der eigenen Firma ein?

Was ist die Debatte über Critical Race Theory wirklich?

Oberflächlich geht es besorgten Eltern darum, dass CRT rassistisch wäre und man Kinder nicht mit diesen schwierigen Themen belasten dürfe. Deshalb soll alles zum Thema CRT aus den Klassenzimmern verbannt werden. Die Strippenzieher hinter dieser CRT Debatte sind Charaktere wie Christopher Rufo. Ihre Ziele sind dabei sehr ausgefeilt und sie geben sie zum Teil öffentlich zu: In erster Instanz wollen sie den Begriff in den Medien denunzieren und völlig falsch ausgelegen. Dadurch ersticken sie eine konstruktive Debatte schon im Keim. 

In zweiter Instanz soll damit die Ignoranz gegenüber Rassismus befördert werden und eine realitätsfremde Lehre forciert werden. Um angebliche Diskriminierung von Weissen unter Critical Race Theory zu verhindern, sollen Lehrer überhaupt nicht mehr über Diversität und Rassismus mit ihren Schülern sprechen dürfen. Dadurch entsteht eine verzerrte Lehre und Weltanschauung, in der diese Themen nicht existieren. Ergo beschäftigen sich deutlich weniger Menschen mit der Thematik und die obigen Beispiele entfalten weiter ihre Wirkung. Im Idealfall soll außerdem die sog. School Choice eingeführt werden, die Eltern ermöglicht, ihre Kinder auch in privaten Schulen unterrichten zu lassen. Dafür erhalten sie einen Steuerausgleich oder einen Voucher vom Schuldistrikt.

Um den Effekt der Ignoranz zu verstärken, wollen sie an öffentlichen Schulen diese Einschränkungen im Schulbetrieb erwirken. An den privaten Schulen werden diese dagegen schon in die Tat umgesetzt. Ein Beispiel hierfür bringt John Oliver in seiner aktuellen Folge Last Week Tonight: Im Lehrbuch „America, Land I love“ steht zum Thema Sklaverei geschrieben: „Der Sklave, der Christus kannte, hatte mehr Freiheit, als jemand, der den Erlöser nicht kannte“. Eine subtilere und böswilligere Manipulation kann man sich kaum ausdenken.

Was sollte man mit der Info anfangen?

Mit der Zeit schwappen viele Dinge über den Teich. Ich glaube, dass wir in Europa und besonders in Deutschland in der Tendenz sensibler im Bezug auf solche Manipulationsversuche reagieren. Trotzdem ist Rassismus immer noch fest in unseren Gesellschaften verankert. Es sind die kleinen Dinge im Alltag oder vielleicht die altbekannten Sprüche vom alten Großvater, von dem man sagt, dass „er es nicht besser weiss“. Auch ich kann mich davon nicht reinwaschen. Aber umso wichtiger ist es, dass wir unser eigenes Verhalten beobachten und jedem Menschen eine Chance geben. Ein ganz pragmatisches Beispiel sind für mich Uğur Şahin und Özlem Türeci, die Mitbegründer von Biontech. Hätte man Ihnen wegen ihrer Abstammung alle Türen verriegelt, hätten wir heute wahrscheinlich ein COVID-19 Vakzin weniger. Von daher sind die Ansätze von Critical Race Theory heute genauso aktuell wie zu ihrer Entstehungszeit.

Wohin stattdessen mit der Energie?

Ablehnung und Ausgrenzung, insbesondere um das eigene Ego zu kräftigen, sind typische Muster von Bullys. Zusammenarbeit wird uns aber immer weiterbringen als wenn jede/r für sich selbst kämpft. 

Gerade in Deutschland mit Flüchtlingen aus Syrien, dem Irak oder Iran haben wir einen Sonderfall. Viele dieser Menschen wollten eigentlich überhaupt nicht hierher oder gar bleiben. Diktatoren und Terroristen haben sie gewaltsam aus ihren eigenen vier Wänden vertrieben. Man hat Ihnen allen Besitz geraubt und mit Mühe und Not haben sie es hierher geschafft, nur um zu überleben. Statt sie dafür abzulehnen, sollten wir uns mehr um ein Miteinander bemühen. Insbesondere auf politischer Ebene sollten wir Fluchtursachen bekämpfen.

Besonders letzteres sollten sich Rechtskonservative als wichtigste Agenda auf die Fahnen schreiben, denn kommen werden die Menschen, wenn sie müssen – ob wir wollen oder nicht. Und auch bei türkischstämmigen Deutschen haben wir den Fall, dass die allermeisten einmal von unseren Landesvätern in unser Land eingeladen worden sind, weil wir billige Arbeitskräfte gebraucht haben. Dass sie, genauso wie Syrer oder Iraker heute oft keine Heimat mehr in ihrem Herkunftsland haben, darf man dabei nicht aus den Augen verlieren.

In den USA ist die Situation vergleichbar. Viele Millionen Afrikaner, man geht von 12 Millionen aus, wurden gewaltsam und gegen ihren Willen verschleppt und zu härtester körperlicher Arbeit gezwungen. Manche ihrer Vorfahren kamen so vor mehreren hundert Jahren getrennt von ihren Familien in die Staaten. Sich jetzt hinzustellen und zu sagen: „Go back to your country“ ist derart zynisch und menschenverachtend, dass einem dafür die Worte fehlen. Die USA sind ihre Heimat und waren es schon hunderte Jahre lang. Und außerdem sind die weißen Einwanderer auch nichts anderes als Fremde im Land. Aber das ist ein anderes Thema.

Chancengleichheit ist eine Chance für alle

Nichtsdestotrotz liegt es im Interesse eines jeden, dem anderen Chancen zu ermöglichen. Am Ende bringt uns das nämlich am meisten vorwärts. Mit jedem neuen Forscher, Gründer oder Künstler entwickelt sich unsere Gesellschaft weiter, nur dann können wir die Herausforderungen unserer Zeit lösen. Halten wir uns gegenseitig künstlich und für’s eigene Ego zurück, verlieren wir das Spiel gegen unsere selbstgemachten Zeitbomben.

 

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